Offshore Leaks und die Schweiz: Entrüstung oder Schadenfreude?

(bmkl) Eine Eilmeldung schreckte heute früh die Schweiz aus ihrem morgendlichen Dösen zwischen zwei Tassen Kaffee:

Offshore Leaks : Medien enttarnen geheime Steueroasen.
UBS und Crédit Suisse sind involviert.

Gemessen an den Skandalen im Bankensektor der letzten 5 Jahre scheint eine solche Schlagzeile geradezu ein moralischer Rettungsanker für das geschundene Schweizer Herz zu sein: Seht her, alle tun es, alle haben es getan. So schlimm sind wir gar nicht. Alles eine Verschwörung um den Banken- und Finanzplatz Schweiz zu zerstören.

Tatsächlich fällt auf, dass für einmal praktisch nur Britische und Amerikanische Offshore Banken von den ‘Offshore Leaks’ betroffen sind. Die Implikationen der UBS und Crédit Suisse allerdings zeigen schnell, dass in Zeiten des digitalen Zahlungsverkehrs kaum mehr mit solchen harten Grenzen argumentiert werden kann. Wer daran noch Zweifel hatte, dem sei die Affäre Wegelin & Co in den USA in Erinnerung gerufen, als die Bank der Hilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt wurde, obwohl sie keine einzige Niederlassung in den USA unterhielt. (Zu mehr Informationen, der Quellenlage und dem moralischen Gewicht des Falls Wegelin und weiterer solcher Fälle: Ethometrics – Proethica)

Zwei Dinge fallen nun an diesem ‘neuen’ Skandal besonders auf. Dinge, die gleichzeitig als eindeutige Gefahren für den aktuellen Diskurs gesehen werden dürfen.

Einerseits sollten schweizerische Kommentatoren tunlichst jegliche Schadenfreude oder gar Freude vermeiden. Nichts an diesen ‘neuen’ Informationen ändert etwas an der Tatsache, dass die Schweiz lange Zeit auf juristischen Finessen ausgeruht und von internationalem Respekt profitiert hat. Wir stehen an einem Scheideweg, wo ein Verstoss gegen den Geist des Gesetzes als moralischer und juristischer Verstoss angesehen werden kann, auch wenn das Gesetz ihn so nicht absolut anerkennt. Wie schwer die nun publizierten Informationen zu den von der Schweiz aus gegründeten Offshore Gesellschaften hier wiegen, kann noch nicht beurteilt werden.

Zuviele Existenzen wurden im Laufe der kompletten Bankenderegulierung im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts zerstört. Zuviele Akteure haben zu lange ihre Integrität und ihr Rechtsverständnis ausgeschaltet, als dass nicht irgend wann einmal mit Konsequenzen zu rechnen gewesen wäre.

Andererseits ist ebenso die künstliche, und ebenso selbstgerechte, Entrüstung zu vermeiden, die nun schockiert über das Ausmass dieser Offshore Praktiken berichtet. Nichts von dem, was nun in die Medien gespült wird ist neu, nichts davon ist wirklich spektakulär. Weder die Namen der Banken, noch die Namen der Oligarchen, Waffenhändler, Diktatoren und -töchter, noch die der Spekulanten.

Für die Schweiz stellt sich die Frage: wie tief reicht der Hasenbau der UBS, Crédit Suisse und Co. eigentlich? Wie sehr sind die moralisch verwerflichen Praktiken der Beihilfe zu illegalen Handlungen institutionalisiert? Und wie lange mögen wir als Volk solche Praktiken noch decken, akzeptieren, gar öffentlich verteidigen?

Man erinnere sich hier nur an die Aussage von Otto Bruderer, Co-Direktor der Bank Wegelin, bei seiner Einvernahme in den USA, als er klar und deutlich aussprach, was alle wussten: Man ging davon aus, jegliche juristische Konsequenzen für die Firma damit umgangen zu haben, da die Kunden ihr Geld in die Schweiz brachten und Wegelin keine Niederlassung in den USA hatte. Für sie galt nur die Gerichtsbarkeit in der Schweiz.

Dabei war es auch zweitrangig, dass man zu eindeutig strafbaren Handlungen Hand bot, egal welche Gerichtbarkeit man anerkennen mag (Dokumentenfälschung, Falschaussagen etc.). Und solche Vorgehensweisen waren so gängig in der ganzen Branche, dass Herr Bruderer ja gerne jegliche persönliche Verantwortung abschieben möchte.

Und doch: Begriffe wie ‘Unrechtsbewusstsein’, persönliche moralische Integrität und Verantwortungsbewusstsein ergeben keinen Sinn mehr in einem Bereich, der zu lange seine eigenen Regeln machen und befolgen durfte. Das haben nicht zuletzt die Probleme der EU und ihrer Mitgliederstaaten auf einer grösseren Skala gezeigt.

Heute gilt es nicht mehr nur über die Verantwortlichkeiten der Banken nachzudenken, ab heute müssen wir über die Grundlagen unserer Geldsysteme und die damit verbundenen Macht- und Gerechtigkeitsverhältnisse und deren Berechtigung nachdenken.


NB: Pro Ethica wird sich im Rahmen des Projektes Ethometrics um eine Rezension und Recherche dieser neuen Fälle im Rahmen der sogenannten ‘Offshore Leaks’ Affäre kümmern und die Resultate der Analyse zur Schwere der mutmasslichen moralischen Verfehlungen von Schweizer Banken hier publizieren.


Aktualisierung 4/4/2013 16:38:

Die Süddeutsche Zeitung publiziert heute abend eine konstant aktualisierte Karte mit den aktuellsten, bereits von den Medien bearbeiteten Fällen aus der Masse der Informationen. (Das gesamte Dossier zu Offshore-Leaks der SZ ist zu empfehlen.)